Urteil vom 12.02.2020 – B 6 KA 19/18 R
Sachverhalt (aus der Terminsvorschau des BSG):
Der Kläger wendet sich als unterlegener Mitbewerber in einem Nachbesetzungsverfahren gegen die der Beigeladenen zu 8. erteilte Genehmigung, den Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 9. zu übernehmen und die Praxis dann mit dem Beigeladenen zu 9. als angestelltem Arzt fortzuführen.
Die Beigeladene zu 8. ist eine orthopädische Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Eines ihrer beiden ärztlichen Mitglieder (Dr. We.) beantragte beim Zulassungsausschuss (ZA), seinen Vertragsarztsitz an den Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 9. (Dr. Wi.) zu verlegen, um künftig im Rahmen einer überörtlichen BAG tätig zu werden (Gegenstand des Verfahrens unter 2.). Außerdem verzichtete der Beigeladene zu 9. auf seine Zulassung und beantragte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Nachdem der ZA entschieden hatte, dass ein Nachbesetzungsverfahren durchzuführen ist, bewarben sich die Beigeladene zu 8. und der Kläger auf den Praxissitz.
Der ZA traf eine Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen zu 8. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zurück. Nach Klageerhebung nahm der Beigeladene zu 9. seinen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zurück. Das SG wies die Klage daraufhin ab, da diese durch die Antragsrücknahme unzulässig geworden sei.
Mit seiner Sprungrevision macht der Kläger geltend, durch die Auswahlentscheidung zugunsten der beigeladenen BAG in seinem rechtlich geschützten Interesse nach Maßgabe des Gleichbehandlungsgebotes aus Art 3 Abs 1 GG verletzt worden zu sein. Die Antragsrücknahme habe das Nachbesetzungsverfahren nicht beendet, da der Antrag nach § 103 Abs 3a SGB V nach bekanntgegebener Auswahlentscheidung des ZA nicht mehr wirksam zurückgenommen werden könne. Andernfalls würde dem Praxisabgeber die Möglichkeit gegeben, das Nachbesetzungsverfahren in missbräuchlicher Weise zu beeinflussen und seinen Wunschkandidaten durchzusetzen. Die Auswahlentscheidung obliege dem ZA und stehe nicht zur Disposition des Praxisabgebers.
Die Entscheidung des BSG (aus dem Terminbericht des BSG):
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Antragsrücknahme hat das Nachbesetzungsverfahren insgesamt erledigt. Nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen kann ein Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes grundsätzlich bis zum Eintritt der Bestandskraft der erstrebten Entscheidung zurückgenommen werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier nicht geboten.
Insbesondere liegt keine die Antragsrücknahme ausschließende bestandskräftige Verwaltungsentscheidung vor. Zwar hat der Ausschreibung durch die KÄV nach Einführung des § 103 Abs 3a SGB V eine Entscheidung des ZA voranzugehen, ob die Praxis überhaupt fortgeführt werden soll. Gleichwohl wird das Nachbesetzungsverfahren durch diese – bestandskräftige – Entscheidung des ZA nicht in zwei weitgehend eigenständige Verwaltungsverfahren aufgespalten, mit der Folge, dass der abgabewillige Arzt an seiner Entscheidung für die Praxisaufgabe festzuhalten wäre. Die Einführung des § 103 Abs 3a SGB V hat an den Abläufen gegenüber dem früheren Rechtszustand nichts geändert, wenn der ZA die Fortführungsfähigkeit der Praxis bejaht. Nach wie vor ist das Ziel des abgabewilligen Arztes darauf gerichtet, seine Praxis an einen Nachfolger zu übergeben und dafür einen Kaufpreis zu erzielen. Bereits vor Einführung des § 103 Abs 3a SGB V waren verschiedene Behörden – die KÄV und der ZA – in das Nachbesetzungsverfahren einbezogen.
Danach hat der abgabewillige Arzt bis zur endgültigen Auswahl eines Bewerbers die Möglichkeit, das Verfahren durch Rücknahme des Nachbesetzungsantrags zu beenden. Er darf sich dabei auch von Überlegungen leiten lassen, die sich auf die Auswahl des Bewerbers beziehen. Allerdings läuft er Gefahr, dass die Übergabe letztlich scheitert, wenn er den Antrag nach der Auswahlentscheidung des ZA zurücknimmt oder die Praxis dem ausgewählten Arzt nicht verkauft, da das Ausschreibungsrecht nach Rücknahme des Antrags grundsätzlich verbraucht ist. Eine erneute Ausschreibung ist nur möglich, wenn für die Rücknahme des Antrags billigenswerte Gründe angeführt werden können. Die Absicht, auf die Auswahl eines bestimmten Nachfolgers hinzuwirken, ist grundsätzlich kein solcher Grund.
Das Nachbesetzungsverfahren dient den Interessen des abgabewilligen Arztes bzw seiner Erben. Die Interessen der Bewerber um den Sitz sind nur insoweit zu berücksichtigen, als die Auswahl unter ihnen nach den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien erfolgt. Auch ein vom ZA ausgewählter Bewerber hat im Verhältnis zum abgabewilligen Arzt immer nur eine tatsächliche Chance auf die Übernahme von Praxis und Vertragsarztsitz, aber keine Rechtsposition, kraft derer die Durchführung des Verfahrens gegen den Willen des abgabewilligen Arztes verlangt werden könnte. Vorliegend ist der Kläger schon gar nicht vom ZA ausgewählt worden. In dieser Konstellation vermag der Senat den Vorwurf des Klägers, die Antragsrücknahme ziele auf die Manipulation des Auswahlverfahrens und sei deshalb rechtsmissbräuchlich, erst recht nicht nachzuvollziehen.
Vorinstanz: Sozialgericht Gelsenkirchen – S 16 KA 7/17, 20.04.2018