Urteil vom 26.01.2022 – B 6 KA 2/21 R
Sachverhalt (aus der Terminsvorschau des BSG):
Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), begehrt die Genehmigung, ihre beiden als Fachärzte für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Gesellschafter in dem von ihr betriebenen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) als Ärzte anzustellen. Beide Gesellschafter sind zugleich Geschäftsführer und jeweils zur Hälfte am Vermögen und am Gewinn der Klägerin beteiligt.
Der Zulassungsausschuss (ZA) ließ das MVZ der Klägerin mit den beiden Gesellschaftern als darin tätige Vertragsärzte zur vertragsärztlichen Versorgung zu, lehnte aber den Antrag der Klägerin ab, dem MVZ die Anstellung der beiden Gesellschafter, die insofern aufschiebend bedingt auf ihre Zulassung verzichtet hatten, zu genehmigen. Der beklagte Berufungsausschuss wies den Widerspruch der Klägerin zurück: Eine Anstellungsgenehmigung könne nur für Angestellte im Sinne des Arbeits- bzw Sozialversicherungsrechts erteilt werden. Die Gesellschafter der Klägerin übten jedoch eine selbstständige Tätigkeit aus.
Das SG hat den Beklagten demgegenüber verpflichtet, der Klägerin die begehrten Anstellungsgenehmigungen zu erteilen. Verzichte ein Vertragsarzt in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf seine Zulassung, um in einem MVZ tätig zu werden, sei die Anstellung zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstünden. Dass die beiden Vertragsärzte Gesellschafter der Klägerin mit jeweils hälftigem Anteil seien, schließe den Anspruch nicht aus. Die zu erteilende Genehmigung sei allein an vertragsärztlichen Gesichtspunkten zu messen. Zivil-, gesellschafts-, steuer-, arbeits- oder sozialversicherungsrechtliche Aspekte hinderten die Erteilung der Genehmigung nicht, wenn – wie hier – vertragsarztrechtliche Belange nicht entgegenstünden. Ärzte könnten bei einem MVZ angestellt sein, auch und gerade, wenn sie Gesellschafter der Träger-GbR seien. Weder die Größe ihres Gesellschafteranteils noch ihr Einfluss auf die MVZ-GbR und damit die arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung ihrer Beschäftigung als abhängig Beschäftigte oder als selbstständig Tätige erlaube es den Zulassungsgremien, die Genehmigung der Anstellung zu versagen. Es entspreche dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und dem Ziel der besonderen Organisations- und Kooperationsform MVZ, dass angestellte Ärzte ihr MVZ als Gesellschafter (mit-)tragen.
Mit seiner Sprungrevision macht der Beklagte insbesondere eine Verletzung des § 103 Abs 4a Satz 1 SGB V geltend. Der Begriff der Anstellung in dieser Norm erfasse – nach arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben – selbstständige Ärzte nicht. Für diese sei – anders als für abhängig Beschäftigte – keine Anstellungsgenehmigung zu erteilen.
Das Urteil des 6. Senats (aus dem Terminsbericht des BSG):
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Zu Recht hat dieser die Erteilung von Anstellungsgenehmigungen für die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer der klagenden GbR abgelehnt.
Eine Anstellungsgenehmigung kann auch dann, wenn ein Vertragsarzt in einem gesperrten Planungsbereich auf seine Zulassung verzichtet, um in einem MVZ tätig zu werden, nur erteilt werden, wenn der betreffende Arzt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis in dem MVZ anstrebt. Das Vertragsarztrecht unterscheidet zwischen angestellten Ärzten und Vertragsärzten. Die Einordnung als angestellter Arzt schließt die Zulassung als Vertragsarzt aus und umgekehrt kann einem zugelassenen Vertragsarzt für dieselbe Tätigkeit nicht gleichzeitig eine Anstellungsgenehmigung erteilt werden. Zwar wird der Begriff der „Anstellung“ im deutschen Recht nicht einheitlich auf Tätigkeiten in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bezogen. Gleichwohl ergibt sich aus Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck der vertragsarztrechtlichen Regelungen, dass der Begriff im Vertragsarztrecht nicht in einem weiten zivilrechtlich geprägten, sondern im sozialversicherungsrechtlichen Sinne des Beschäftigten zu verstehen ist.
Seit den 1990er Jahren sind die Möglichkeiten von Vertragsärzten, angestellte Ärzte regulär und dauerhaft zu beschäftigen, erweitert worden. Dabei bestand auch nach dem Inhalt der Gesetzgebungsmaterialien nie ein Zweifel daran, dass die bei einem Vertragsarzt angestellten Ärzte Beschäftigte im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte, dass der Begriff der Anstellung im MVZ anders auszulegen wäre. Vielmehr spricht der Umstand, dass Ärzte in einem MVZ auch die Möglichkeit haben, als Vertragsärzte tätig zu werden, und dass ein Arzt nicht dieselbe Tätigkeit sowohl in der Rolle des angestellten Arztes als auch in der Rolle des Vertragsarztes verrichten kann, gerade gegen ein erweitertes Verständnis des Begriffs des angestellten Arztes speziell im MVZ. Soweit der Senat in verschiedenen Entscheidungen die Annäherung der Stellung des angestellten Arztes an die des Vertragsarztes betont hat, betrifft dies die Stellung des angestellten Arztes im vertragsärztlichen System, etwa bezogen auf seine Mitgliedschaft in der KÄV oder seine Berücksichtigung bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder der Honorarverteilung. Dies ändert aber nichts an dem Status des angestellten Arztes als abhängig Beschäftigter im sozialversicherungsrechtlichen Sinne.
Auch aus den mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz eingeführten und mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz erweiterten Regelungen zur Aufrechterhaltung der Gründereigenschaft von angestellten Ärzten im MVZ kann nicht abgeleitet werden, dass speziell für die in einem MVZ tätigen Ärzte ein anderer – eigenständiger – Begriff des angestellten Arztes gelten würde als sonst im Vertragsarztrecht. Dass Gesellschafter zugleich abhängig Beschäftigte „ihrer“ Gesellschaft sein können, ist nicht zweifelhaft. So können nach stRspr des für Versicherungspflichtstreitigkeiten zuständigen 12. Senats des BSG selbst Gesellschafter-Geschäftsführer abhängig beschäftigt sein, wenn sie nicht die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen und damit die eigene Weisungsgebundenheit als Angestellte der Gesellschaft aufzuheben. Dies ist aber bei den beiden Ärzten, für die die Klägerin die Erteilung von Anstellungsgenehmigungen begehrt, gerade nicht der Fall: Beide sind Geschäftsführer und zu gleichen Teilen an der Gesellschaft beteiligt und können – da Beschlüsse der Gesellschaft der Einstimmigkeit bedürfen – ihnen nicht genehme Beschlüsse und Weisungen verhindern.
Vorinstanz:
Sozialgericht Magdeburg – S 1 KA 25/18, 18.11.2020